Reflexionen zu Undine von Christian Petzold
Das Symbol, das auf die Wahrheit weist... Ein kurzer Tauchgang in den mythischen See der Undine. Gedanken zu emotionaler Bindung, Spannungsaufbau und intellektuellem Diskurs von Christian Petzolds sympathisch kontemporärer Undine-Interpretation.
Das Symbol, das auf die Wahrheit weist…
Obwohl der Film als Gedankenspiel sehr gut funktioniert, berührt er die mythischen Aspekte der Undine Sage etwas zu distanziert und könnte auf emotionaler Ebene tiefgreifendere Wirkung erzielen, wenn er die emotionale Welt der Undine Wibeau (Paula Beer) dramaturgisch greifbarer darstellen würde.
Konkret wirkt der erste Teil des Films in dem überwiegend die POV der Undine-Figur beibehalten wird, unecht, flach und fast klischeeartig konstruiert. Das könnte man intellektuell auch als Regie-Finesse werten, wenn man unterstellt, dass uns die ja seelenlose Undine-Figur, als außerweltliche, fassadenhafte, jenseits der Realität stehende Figur gezeigt werden soll. Aber das ändert nichts an der dramaturgischen Schwäche dieser ersten Passage, durch die man sich eher distanziert durchquälen müsste, wenn es Paula Beer nicht ihrerseits schaffen würde, mit ihrem Spiel den meisten Szenen eine gewisse menschliche Zerbrechlichkeit einzuhauchen und damit jedem Frame ihre eigene Seele zu leihen.
Bis zu dem Moment, an dem Undines Ex-Freund wieder auftaucht, gibt es weder tiefgreifende Identifikation mit ihrem Charakter noch mit Christoph (der Figur von Franz Rogowski). Die scheinbar ideale Liebe zwischen den beiden, nach ihrem schicksalhaft magischen Zusammentreffen, berührt uns nicht, weil wir die seelische Verfasstheit der Undine nicht sehen können. Der Schatten ihrer letzten Beziehung wird uns nur intellektuell erzählt. Die vermeintliche Falschheit ihres halsüberkopf–verliebt Seins in «Lückenbüßer» Christoph, dessen Liebe für Undine dann aber doch so hingebungsvoll real ist, sieht man nie in emotionalen Handlungen, die Undines Zerrissenheit widerspiegeln könnten. Wir sind damit fast in der gleichen Situation wie Christoph: wir haben die gleiche Sicht auf Undine wie er. Wir sind überrascht davon, dass sie an diesem Ex-Freund hängt, wir sind überrascht davon, dass sie ihm später im Film tatsächlich eine Chance gibt sich zu erklären, wir sind überrascht davon, dass sie ihre neue perfekte Liebe mit Christoph betrügt. Und diese Überraschung bedeutet, wir sind nicht mit ihrem Charakter identifiziert. Wir sind selber betrogen worden, wir haben keinen Einblick in ihr tatsächliches Seelenleben bekommen.
Wenn das alles gewollt ist, und wir damit raffinierter weise den ganzen Film lang tatsächlich und eigentlich nur Christophs Perspektive verfolgen, ohne uns darüber bewusst zu sein, dann ist das ein schönes intellektuelle Spiel. Aber: Wir verlieren uns nicht – wie Christoph – in Undine. Wir erleben sein sich restlos hingeben in diese verzaubernde Liebe nicht mit. Weil wir dramaturgisch nur mit Undine identifiziert sein können, aber auch das nicht sind, und so nur den schönen romantischen Bildern beiwohnen dürfen, deren Erzählung wir zwar akzeptieren können, die sich deswegen aber auch anfühlen wie schon mal gesehen, und so symbolisch bleiben.
Eine dramaturgisch tragfähige Spannung entwickelt sich erst, als Petzold seine seelenlose Protagonistin in der Mitte des Films sterben lässt und wir die Perspektive von Christoph (nun erst völlig) einnehmen dürfen. Und dieser harte Schnitt ist auch für das intellektuelle Gedankenspiel des Films notwendig, da ab hier die Suche nach Undine, nach der Wahrheit, nach dem Realen dieser symbolischen perfekten Liebe beginnt. Christoph kann nicht glauben, dass Undine einfach so verschwunden ist. Und wir trauen unseren Augen mit ihm nicht. Obwohl wir wissen, was passiert ist. Clever gesetzte Setups und Payoffs spielen mit unseren Bewertungen darüber, was real ist, und was nicht: der Weinfleck in Undines Apartment, die Video-Nachschau am See um die Existenz des Wels bzw. Undine zu prüfen. Das alles vermittelt ein ähnliches Gefühl des Flüchtigen, wie Antonionis Blow Up: dass man zweimal hinschauen muss, und was man gesehen hat, vielleicht doch nicht so da war. Das man seinen Sinnen nie ganz trauen kann, und nicht mal das Objektiv einer Kamera die Essenz der Dinge sicher einzufangen vermag. Und trotzdem traut Christoph am Ende seinem Herzen und findet den kleinen Taucher aus dem Aquarium im See.
Weil es das Symbol braucht, um darauf zu weisen was real sein könnte, braucht dieser Film auch seine Zweiteilung in die symbolische erste Hälfte und die «reale» zweite Hälfte als Rückschau, um seine Botschaft auszudrücken und zu fragen: Was ist real? Und was ist nur ein Symbol?
Aber dramaturgisch besser und emotional berührender wäre dieser Effekt gewesen, wenn das Symbol (Undine und ihre Liebe zu Christoph) glaubhafter gezeichnet worden wäre und wir uns zusammen mit Christoph (!) in einen flüchtigen Wassergeist verliebt hätten, der sich spurlos auflöst, und am Ende trotzdem existiert. Ähnlich wie die Fassade des Berliner Schlosses in Undines Vortrag, wird etwas Symbolisches real, weil es auf etwas verweist, das wirklich sein könnte. Wo diese Grenzen zwischen Symbolischem und Realem verschwimmen, da würde der wahre Geist von Undine eine Geschichte beseelen. Und dann würden wir uns auch fragen können, ob nicht doch eigentlich Christoph der Wassergeist war, der eine verlorene Berliner Seele in seinen See gelockt hat, weil er vom Geist der mythischen Undine befallen war. Dann könnten wir uns auch verführen lassen, die intellektuelle Distanz und uns zu verlieren, und in dem Film versinken.
– Jerry